Gedichte von Gottfried Keller

Gottfried Keller

Gottfried Keller

schweizerischer Dichter und Politiker
* 19.7. 1819 - Zürich
15.7. 1890 - Zürich

Die Schenke dröhnt, und an dem langen Tisch
Ragt Kopf an Kopf verkommener Gesellen;
Man pfeift, man lacht; Geschrei, Fluch und Gezisch
Ertönte an des Trankes trüben Wellen.

In dieser Wüste glänzt´ ein weißes Brot,
Sah man es an, so ward dem Herzen besser;
Sie drehten eifrig draus ein schwarzes Schrot
Und wischten dran die blinden Schenkemesser.

Doch Einem, der da mit den andern schrie,
Fiel untern Tisch des Brots ein kleiner Bissen;
Schnell fuhr er nieder, wo sich Knie an Knie
Gebogen drängte in den Finsternissen.

Dort sucht´ er selbstvergessen nach dem Brot,
Doch da begann´s rings um ihn zu rumoren,
Sie brachten mit den Füßen ihn in Not
Und schrie´n erbost: Was, Kerl! hast du verloren?

Errötend taucht´ er aus dem dunklen Graus
Und barg es in des Tuches grauen Falten.
Er sann und sah sein ehrlich Vaterhaus
Und einer treuen Mutter häuslich Walten.

Nach Jahren aber saß derselbe Mann
Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,
Wo Sonnenlicht das Silber überspann
Und in gewählten Reden floh die Stunde.

Auch hier lag Brot, weiß wie der Wirtin Hand,
Wohlschmeckend in dem Dufte guter Sitten;
Er selber hielt´s nun fest und mit Verstand,
Doch einem Fräulein war ein Stück entglitten.

O lassen Sie es liegen! sagt sie schnell;
Zu spät, schon ist er unter´n Tisch gefahren
Und späht und sucht, der närrische Gesell,
Wo kleine seid´ne Füßchen stehn zu Paaren.

Die Herren lächeln und die Damen zieh´n
Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen;
Er taucht empor und legt das Brötchen hin,
Errötend hin auf das damast´ne Linnen.

Zu artig, Herr! dankt ihm das schöne Kind,
Indem sie spöttisch lächelnd sich verneigte;
Er aber sagte höflich und gelind,
Indem er sich gar sittsam tief verbeugte:

Wohl einer Frau galt meine Artigkeit,
Doch Ihnen diesmal nicht, verehrte Dame!
Es galt der Mutter, die vor langer Zeit
Entschlafen ist in Leid und bitt´rem Grame.

Die ersten Veilchen waren schon
Erwacht im stillen Tal;
Ein Bettelpack stellt´ seinen Thron
In´s Feld zum ersten Mal.
Der Alte auf dem Rücken lag,
Das Weib, das wusch am See;
Bestaubt und unrein schmolz im Hag
Das letzte Häuflein Schnee.

Der Vollmond warf den Silberschein
Dem Bettler in die Hand,
Bestreut´ der Frau mit Edelstein
Die Lumpen, die sie wand;
Ein linder West blies in die Glut
Von einem Dorngeflecht,
Drauf kocht´ in Bettelmannes Hut
Ein sündengrauer Hecht.

Da kam der kleine Betteljung´,
Vor Hunger schwach und matt,
Doch glühend in Begeisterung
Vom Streifen durch die Stadt,
Hielt eine Hyazinthe dar
In dunkelblauer Luft;
Dicht drängte sich der Kelchlein Schar,
Und selig war der Duft.

Der Vater rief: Wohl hast du mir
Viel Pfennige gebracht?
Der Knabe rief: O sehet hier
Der Blume Zauberpracht!
Ich schlich zum goldnen Gittertor,
So oft ich ging, zurück,
Bedacht nur, aus dem Wunderflor
Zu stehlen mir dies Glück!

O sehet nur, ich werde toll,
Die Glöcklein alle an!
Ihr Duft, so fremd und wundervoll,
Hat mir es angetan!
O schlaget nicht mich armen Wicht,
Laßt euren Stecken ruh´n!
Ich will ja nichts, mich hungert nicht,
Ich will´s nicht wieder tun!

O wehe mir geschlagnem Tropf!
Brach nun der Alte aus,
Mein Kind kommt mit verrücktem Kopf,
Anstatt mit Brot nach Haus!
Du Taugenichts, du Tagedieb
Und deiner Eltern Schmach!
Und rüstig langt er Hieb auf Hieb
Dem armen Jungen nach.

Im Zorn fraß er den Hecht, noch eh Der gar gesotten war,
Schmiß weit die Gräte in den See
Und stülpt´ den Filz auf´s Haar.
Die Mutter schmält´ mit sanftem Wort
Den mißgeratnen Sohn,
Der warf die Blume zitternd fort
Und hinkte still davon.

Es perlte seiner Tränen Fluß,
Er legte sich ins Gras
Und zog aus seinem wunden Fuß
Ein Stücklein scharfes Glas.
Der Gott der Taugenichtse rief
Der guten Nachtigall,
Daß sie dem Kind ein Liedchen pfiff
Zum Schlaf mit süßem Schall.

Gedichte by Gottfried Keller (Site 6)
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