Das Lied vom Kummer
(nach Li-tai-pe)

Der Wirt hat Wein. Aber er soll
noch nicht die Becher bringen.
Ich will erst noch
das Lied vom Kummer singen.
Wenn der Kummer kommt,
Lied und Lachen stirbt,
Niemand weiß, wie tote Grille zirpt.
O-he ... O-he ...

Herr, du kelterst Wein in bauchige Fässer.
Ich besitze eine schlanke Laune
und ein kurzes Messer.
Wein trinken und Laute schlagen
vertragen sich gut,
Wenn Gold im Sack
und Messer in Scheide ruht.
O-he!

Himmel ist ewig. Er mag der Erde
halbe Ewigkeit gönnen.
Wie lange werden wir uns des Goldes
und des Weines erfreuen können?
Hundert Jahre sind zu wenig.
Hundert Jahre sind viel.
Leben und sterben
ist einzig des Menschen Ziel.
O-he ... O-he ...

Seht dort unten,
wo der Mond sich gelb zu schaffen
macht, seht zwischen Gräbern
einsam dort den Affen!
Wie er friert und hockt!
Wie er heult und schreit!
Brüder, schenkt ein!
Herunter den Becher in einem Zug!
Zum Trinken ward´s Zeit ...
O-he!

Klabund

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deutscher Schriftsteller
* 4.11. 1890 - Crossen, Lebus , Polen
14.8. 1928 - Davos
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