Gedichte von Otto Reutter

Otto Reutter

Otto Reutter

deutscher Couplet-Schreiber
* 1870
†1931

Wir leben in ´ner eiligen, hastigen Zeit
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
der eine, der schiebt heut den andern beiseite
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir drängen alle vorwärts, ob Hinz oder Kunz,
sind stets außer uns, und wir kommen nie zu uns,
denn wir werden mit uns ja nur flüchtig bekannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Der Tag beginnt schon in eiligem Lauf
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
der Wecker, der weckt uns, wir stehen schon auf
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Schnell ziehen wir uns an, und wir schlingen unseren Schmaus,
der ist noch nicht runter, da treten wir aus
und sitzen selbst dort an der hinteren Wand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wir turnen, wir trainieren, zum Masseur gehen wir hin
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
mal sind wir zu dick, mal sind wir zu dünn
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir gehn nie, sind auf dem Laufenden stets,
wenn wir mal wen treffen, dann fragen wir: Wie gehts?
Und eh der es uns sagt, sind wir weiter gerannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wir fahren in die Ferien und sitzen am Strand,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
erwarten die Post, den geschäftlichen Stand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Ein Buch mal zu lesen, das wär ein Genuß –
wir lesen den Anfang und schauen nach dem Schluß,
durchblättern den Goethe, durchfliegen den Kant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wir machen ne Reise im Automobil
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
wir reisen nicht mehr, wir rasen zum Ziel,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Fragt man uns: Die Gegend, die war wohl sehr schön
Dann sagen wir ja und wir haben nichts gesehen,
denn wir fuhren bloß vorbei ohne Sinn und Verstand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Die Liebe, die Ehe betreiben wir als Sport
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
wir finden uns, verbinden uns und – pflanzen uns fort
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Will sie ihn mal küssen, dann stellt er sich froh –
und denkt sich: Nun mach schon, ich muß ins Büro -
Und er drückt sie ans Herz und küßt sie galant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

So eilen wir durchs Leben ohne Freud und Pläsier,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
da, plötzlich steht einer, ist mächtiger als wir,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Der sagt: Du brauchst nicht auf die Uhr mehr zu sehn,
denn meine geht weiter und deine bleibt stehen
und er winkt uns hinüber ins andere Land
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.

Wenn Frau´n was kaufen, das geht flink.
Ich weiß, wie´s meinem Freund erging.
Der, jungvermählt, wollt´ in der Früh mal ins Büro, das sagte sie:
"Laß mich ein Stückchen mit dir gehn."
Dann blieb sie vor ´nem Laden stehn.
"Dein Port´monnaie! Bin gleich zurück,
es dauert nur ´nen Augenblick.
Bleib draußen", sprach Frau Suse,
"ich kauf mir bloß ´ne Bluse."

Nun geht sie rein, "nen Augenblick."
Ihr Mann, sehr heiter, bleibt zurück.
Er freut sich, ´s Wetter ist sehr schön,
sieht Kinder, die zur Schule gehn,
und sie sagt drinnen zur Mamsell:
" ´ne blaue Bluse, aber schnell!"
Nun schleppt man alle blauen rein,
und nach ´ner Stunde sagt sie: "Nein,
ich finde keine nette,
ich möcht´ ´ne violette."

Nun packt man violette aus.
Ihr Mann, geduldig, steht vorm Haus,
denkt: "Ziemlich lange währt so´n Kauf",
geht auf und ab und ab und auf,
und sie sagt drinnen: "Das ist nett!
Wie kam ich nur auf violett?
Da fällt mir ein, Frau Doktor Schmidt
geht immer mit der Mode mit,
und sie trägt jetzt ´ne gelbe.
Ach, geb´n Sie mir dieselbe.

Nun packt man alle gelben aus.
Ihr Mann wird hungrig vor dem Haus.
Der Mittag naht, die Sonne sticht,
die Kinder komm´n vom Unterricht.
Und sie sucht drin und sagt alsdann:
"Was geht Frau Doktor Schmidt mich an?
Wie kam ich auf ´ne gelbe nur?
Es wird ja Frühling, die Natur
zeigt frohe Hoffnungsmiene,
ach, geb´n Sie mir ´ne grüne."

Nun packt man alle grünen aus.
Ihr Mann ist matt und seufzt vorm Haus:
"Gern kauf´t ich ´ne Zigarre mir,
doch´s Port´monnaie, das ist bei ihr."
Und sie sagt drin: "Beim Sonnenschein,
da wird das Grün zu dunkel sein."
Da schaut er rein. Mein Port´monnaie",
sie sagt: " ´nen Augenblick noch. Geh!
Ich bin ja gleich zur Stelle.
Ach, geb´n Sie mir ´ne helle."

Nun packt man alle hellen aus.
Da gibt´s ein Ungewitter drauß´.
Es regnet bis zum Abendrot.
Ihm fehlt ein Schirm und´s Abendbrot.
Und sie sagt drinnen zur Mamsell:
"So´n Wetter heut, und dazu hell?
Und überhaupt, wir haben bald
April, da wird´s oft naß und kalt,
dann bin ich die Blamierte.
Ach, geb´n Sie ´ne karierte."

Nun packt man die karierten aus,
und er stöhnt, frei nach Goethe, drauß´:
"Was ewig weiblich, zieht uns an.
Das Weib, das zieht sich ewig an."
Und sie probt drin und sagt entsetzt:
"Was, Nummer vierundvierzig jetzt?
Nicht zweiundvierzig, schlank und schick?
Dann nichts Kariertes, das macht dick."
Ihr Blick zur Taille schweifte.
"Dann geb´n Sie ´ne gestreifte."

Nun packt man die gestreiften aus.
Ihr Mann, der wankt und röchelt drauß´:
"Ein´n Augenblick!" Das war ihr Wort!
Dann fällt er um, man trägt ihn fort.
Dann kommt sie mit ner roten raus.
"Hier bin ich schon!" ruft sie froh aus
und schreit: "Mein Mann! Mein Glück!
Gott, ist er tot? Ein´n Augenblick!"
Und in den Laden starrt se:
"Dann geb´n Sie mir ´ne schwarze."

Context
»Die Unsterblichen Reutter-Vorträge«
Gedichte by Otto Reutter
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