Ich hab´ ob meinem Lebensbuch gewacht.
Die Richter kamen durch die Regennacht,
Ein Zug von Schatten, alle mir bekannt,
Ein jeder trug ein Herz in seiner Hand,
Die waren, wie von Klingenhieben wund,
Und jede Wunde war ein glüh´nder Mund
Und redete in weichem Ton mich an:
»Du hast mir einmal leid und weh getan.«
Hier war´s ein rasches Tun, ein zürnend Gehn,
Ein Unterlassen und ein barsches Wort,
Ein früh Vergessen und ein Übersehn,
Liebreiches Nahen und ein Mißverstehn,
Abwehrende Gebärde, spitzer Hohn –
Es war mir alles längst verblichen schon.
So kamen sie und schwanden allgemach,
Der letzte sprach: »Nun wach´ und denke nach!
Mir ging´s nicht besser, als ich schlummerlos
Einst meine Rechnung mit dem Leben schloß.
Hat man genug gekämpft, geliebt genug,
Fühlt man jedwede Wunde, die man schlug!«

Jakob Bosshart
Ich hab´ ob meinem Lebensbuch gewacht. Die Richter kamen durch die Regennacht, Ein Zug von… - Jakob Bosshart Gedichte
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Zusätzliche Informationen

»Gedichte«, Zürich: Grethlein & Co., 1924
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