Es ist die allergrößte Pein,
Ein Halbpoet geboren sein,
Zu tragen in sich unerhellt
Das Chaos einer ganzen Welt,
Aus dessen Gähren, dessen Ringen
Kein ganzes Leben will entspringen.

Zu steh´n in heißen Durstesqualen
Im Zauberborn des Idealen,
Das Schöne liebend zu bereifen,
Heran zur höchsten Klarheit reifen,
Im Reinen wandeln und im Wahren –
Ohnmächtig es zu offenbaren.

In dir ein Schaffen unbewußt,
Ein lautlos Schrei´n in deiner Brust,
Ein Wogen, Keimen, Knospensprengen,
Ein ruheloses Vorwärtsdrängen,
Und dennoch keiner Blüte Prangen,
Und dennoch kein Zumzielgelangen!
– Es ist die allergrößte Pein,
Ein Halbpoet geboren sein.

Marie von Ebner-Eschenbach

Zusätzliche Informationen

Ebner-Eschenbach: »Gesammelte Schriften«, erster Band: Aphorismen, Parabeln, Märchen und Gedichte, Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, 1893
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