Oft in tiefer Mitternacht
Faßt mich ein unendlich Bangen
Um die Tage, die vergangen
Und mich nicht ans Ziel gebracht.

Was ich jung umsonst gesucht,
Kann ich´s alternd noch erringen?
An die ausgewachsnen Schwingen
Hing sich, ach, des Siechtums Wucht.

– Wirf denn hin den Zauberstab,
Eh´ er dir entsinkt mit Schmerzen!
Nimm die letzte Glut im Herzen
Ungesungen mit ins Grab! –

Still, o still! Ich lern´ es nie,
Stumme Tage klug zu weben.
Trostlos Darben wär ein Leben
Ohne dich, o Poesie!

Nach dem Kranz, der vor mir schwebt,
Muß ich ringen Stund´ um Stunde,
Wie der Aar, der flügelwunde,
Sterbend noch zur Sonne strebt.

Emanuel Geibel
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