Gedichte von Karl Gerok

Karl Gerok

Karl Gerok

deutscher Theologe und Kirchenliederdichter
* 30.1. 1815 - Vaihingen an der Enz
14.1. 1890 - Stuttgart

Nimm, Herr, mich mit auf deinem Todesgange,
Daß ich den letzten Segen noch empfange,
Den du im Dulden, Bluten und Erblassen
Der Welt gelassen.

Mit Zions Töchtern möcht ich um dich klagen,
Mit Simon dir den Marterbalken tragen
Und mit Johannes unter bittern Wehen
Am Kreuze stehen.

Die Füße, die mit nimmermüdem Schritte
So sanft gewandelt in des Volkes Mitte,
O laß mich sie, eh´ sie erstarren müssen,
Noch einmal küssen.

Die Hände, die nur wohlgetan auf Erden
Und zum Dank ans Holz geheftet werden,
O breite sie vom Kreuzesarm zum Segen
Mir noch entgegen!

Ihr Lippen, stets holdselig anzuhören,
So vielgetreu im Trösten, Mahnen, Lehren,
O gönnt mir noch, eh´ ihr euch müßt entfärben,
Ein Wort im Sterben!

Doch stille, horch! Die Hammerschläge klingen,
die ihm durchs Fleisch und mir durchs Herze dringen,
Er aber fleht zu Gott mit Engelsmienen:
Vergib du ihnen!

Nun hängt er nackt inmitten der Verbrecher
Und neigt sich mild zum reuevollen Schächer
Und öffnet ihm mit hohem Gnadenworte
Des Himmels Pforte.

Die Mutter sieht er mit dem Schwert im Herzen,
Am Kreuze stehn in namenlosen Schmerzen,
Drum sorgt er, daß an Sohnesstatt ihr bliebe
Johannis Liebe.

Jetzt aber sieh! wie sich der Tag umnachtet;
Jetzt aber horch! wie seine Seele schmachtet:
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen?
Wer kann es fassen?

Mich dürstet! klagt er, seine Glieder beben,
Die Zunge muß verdorrt am Gaumen kleben:
Lebendig Wasser strömt vom Lebensfürsten,
Und er muß dürsten.

Doch nur getrost, schon ist sein Kampf geendet,
Die Schrift erfüllt, des Vaters Werk vollendet,
Es ist vollbracht! - durch alle Himmelshallen
Soll´s widerschallen.

Aus Wolkennacht schon dämmert neu die Sonne,
Das Todesweh geht aus in Himmelswonne,
Und sterbend spricht er: Vater, ich befehle
Dir meine Seele.

Es ist vollbracht! mein Heiland ist verschieden,
Sein müdes Haupt, es neigt sich nun im Frieden;
Die Erde bebt, des Abgrunds Felsen splittern,
Die Menschen zittern.

Das Volk verstummt und wendet sich zu gehen,
Doch Herr, deine Kreuz bleibt aufgerichtet stehen,
Ein Heilspanier der Welt für alle Zeiten
Und Ewigkeiten.

Mich aber laß an deinem Kreuz verweilen,
Dein schuldlos Blut soll meine Wunden heilen,
Dein bittrer Kampf soll mir den Frieden geben,
Dein Tod das Leben!

Ich klopfe an zum heiligen Advent
Und stehe vor der Tür.
O selig, wer des Hirten Stimme kennt
Und eilt und öffnet mir!
Ich werde Nachtmahl mit ihm halten,
Ihm Gnade spenden, Licht entfalten.
Der ganze Himmel wird ihm aufgetan:
Ich klopfe an.

Ich klopfe an, da draußen ist´s so kalt
In dieser Winterzeit;
Vom Eise starrt der finstre Tannenwald,
Die Welt ist eingeschneit,
Auch Menschenherzen sind gefroren,
Ich stehe vor verschloss´nen Türen,
Wo ist ein Herz, den Heiland zu empfahn?
Ich klopfe an.

Ich klopfe an, der Abend ist so traut,
So stille, nah und fern,
Die Erde schläft, vom klaren Himmel schaut
Der lichte Abendstern;
In solchen heil´gen Dämmerstunden
Hat manches Herz mich schon gefunden;
O denk, wie Nikodemus einst getan:
Ich klopfe an.

Ich klopfe an und bringe nichts als Heil
Und Segen für und für.
Zachäus´ Glück, Marias gutes Teil,
Beschert´ ich gern auch dir,
Wie ich den Jüngern einst beschieden
In finstrer Nacht den süßen Frieden.
So möchte ich dir mit holdem Gruße nah´n;
Ich klopfe an.

Ich klopfe an, bist, Seele, du zu Haus,
Wenn dein Geliebter pocht?
Blüht mir im Krug ein frischer Blumenstrauß,
Brennt deines Glaubens Docht?
Weißt du, wie man den Freund bewirtet?
Bist du geschürzet und gegürtet?
Bist du bereit, mich bräutlich zu empfah´n?
Ich klopfe an.

Ich klopfe an, klopft dir dein Herze mit,
Bei meiner Stimme Ton?
Schreckt dich der treusten Mutterliebe Tritt
Wie fernen Donners Droh´n?
O hör´ auf deines Herzens Pochen,
In deiner Brust hat Gott gesprochen:
Wach auf, der Morgen graut, bald kräht der Hahn:
Ich klopfe an.

Ich klopfe an; sprich nicht: Es ist der Wind,
Er rauscht im dürren Laub.
Dein Heiland ist´s, dein Herr, dein Gott, mein Kind.
O stelle dich nicht taub;
Jetzt komm ich noch im sanftem Sausen,
Doch bald vielleicht im Sturmesbrausen.
O glaub, es ist kein eitler Kinderwahn:
Ich klopfe an.

Ich klopfe an, jetzt bin ich noch dein Gast
Und steh vor deiner Tür,
Einst, Seele, wenn du hier kein Haus mehr hast,
Dann klopfest du bei mir;
Wer hier getan nach meinem Wunsch,
Dem öffn´ ich dort die Friedenspforte,
Wer mich verstieß, dem wird nicht aufgetan;
Ich klopfe an.

(2. Kor. 5, 17.
Das Alte ist vergangen,
siehe, es ist alles neu worden.)

Vergebens kämpf´ ich
Den heißen Kampf,
Nicht länger dämpf´ ich
Des Herzens Krampf.

Verborgne Quellen,
So brecht nur auf,
Ihr Tränenwellen,
Habt freien Lauf!

Hab´ lang gerungen,
Den tiefen Schmerz
Hinabgeschlungen
Ins stille Herz;

Die Welt belogen
Mit heitrem Blick,
Mich selbst betrogen
Mit eitlem Glück;

Bin nachgelaufen
Im Torenwahn
Dem bunten Haufen
Auf breiter Bahn,

Den Sinn verloren
In Schaum und Schein,
Das Herz erfroren
Ins Mark hinein;

Bis ich den Jammer
Nicht länger trug,
Und Gottes Hammer
Mein Herz zerschlug.

Da hat die Rinde
So dumpf gekracht,
Wie Eis im Winde
Der Frühlingsnacht.

Was lang verhalten,
Dringt nun hervor,
Aus tiefen Spalten
Steigts warm empor.

Das tiefste Sehnen,
Das ältste Weh,
In heißen Tränen
Quillts in die Höh.

Wo sind die stolzen
Gedanken hin?
Wie Eis geschmolzen
Der starre Sinn!

Was ich gewonnen,
Was ich getan,
Ist all zerronnen
Wie Traum und Wahn.

Ich steh in Zagen,
Ein Kindlein, da,
Und kann nicht sagen,
Wie mir geschah.

Von oben Liebe,
Die lang gelockt,
Von innen Triebe,
Die lang gestockt,

Zu süßen Bächen
Vereinigt jetzt, –
So musste brechen
Das Eis zuletzt. –

O ew´ge Liebe,
Nur immer zu,
Wenn nichts mir bliebe,
So bleibst mir du.

In Tränen walte
Nur ungehemmt,
Bis alles Alte
Hinweggeschwemmt!

Wo Herzen klopfen,
Ist Leben da,
Wo Augen tropfen,
Ist Tröstung nah.

Wenn bis zum Grunde
Mein Herz erweicht,
Dann kommt die Stunde
Des Heils vielleicht,

Wo dem Gefilde
Mit Friedenssaat
Voll Himmelsmilde
Der Sämann naht;

Wenn ausgeweinet
Die Wolken grau,
Dann erst erscheinet
Das Himmelsblau;

Dann tritt die Sonne
Aus dem Gezelt,
Dann dampft in Wonne
Das warme Feld,

Dann girrt im Laube
Mit süßem Laut
Die Turteltaube,
Die Frühlingsbraut:

»Der Schnee ist gangen,
Der Lenz ist da,
Die Blumen prangen,
Hallelujah!«

Gedichte by Karl Gerok
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