Mir träumt, ich schlummert unterm Weidenbusch
Am Bachesufer, auf der Himmelswiese,
Und mit dem Wasser käm ein schöner Mann
Im Boot dahergefahren. Längs der Fahrt
Bog er die Büsche auseinander, spähte
In das Versteck und reichte links und rechts
Geschenke, welche er dem Boot enthob.

Wo er vorbeizog, scholl ein Dankesschluchzen.
Und aus den Wellen sang´s wie Orgelstimme:
"Kleingläubige Zweifler, habt ihr´s nicht gespürt?
Ihr mußtet leiden, daß ihr lernet wünschen.
Ihr mußtet wünschen, daß ich euch´s gewähre.
Was jeder ihm verschwiegnen Seelengrund
Ersehnt, die Träume, die dem eignen Herzen
Er nicht verriet, ich habe sie gebucht.
Nehmt hin, ich kenne jedes Menschenherz!
Nehmt hin, ich kenne jeder Seele Sehnsucht!"

Allmählich kam er auch zu mir. Neugierig
Schärft ich den Blick, denn keines Wunsches war
Ich mir geständig. Da entstieg dem Nachen
Ein strahlend Frauenbild, vertraulich winkend,
Eilt auf mich zu und lachte mir ins Auge:
"Kleingläubiger Zweifler, hast du´s nicht gespürt?"
Dann nahm sie meine Hand und führte mich
Durch blumige Triften nach den blauen Bergen.
Viel Fenster lugten auf den Weg, dahinter
Gesichter, deren Grüße uns vermählten.
Wir aber zogen miteinander weiter
Und immer weiter über Berg und Tal,
Ohne Verdruß und ohne Müdigkeit,
Bis wir verschwanden in gottinniger Ferne.

Carl Spitteler

Mehr von

schweizerischer Dichter und Romanautor, Nobelpreis für Literatur 1919
* 24.4. 1845 - Liestal
29.12. 1924 - Luzern
Bitte anmelden, um Kommentare zu sehen und zu posten

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.