Maien auf den Bäumen, Sträußchen in dem Hag.
Nach der Schmiede reitet Janko früh am Tag.
Blütenschneegestöber segnet seine Fahrt,
Lilien trägt des Rößleins Mähne, Schweif und Bart,
Lacht der muntre Knabe: »Sag´ mir, Rößlein traut,
Bist bekränzt zur Hochzeit, doch wo bleibt die Braut?«
Horch, ein Pferdchen trippelt hinter ihm geschwind,
auf dem Pferdchen schaukelt ein holdselig Kind.
Solche kleine Fante nimmt man auf den Schoß,
auf die Schulter wirft er´s spielend: Ei! wie groß
Zappelnd schreit die Kleine: »Böser Bube du!
Weh! ich hab verloren meinen Lilienschuh.«

Rückwärts sprengt er suchend ein geraumes Stück.
Wie er mit dem Schuhe eilends kam zurück,
an des Kindes Stelle saß die schönste Maid.
Da geschah dem Jungen süßes Herzeleid.
Flüsterte die Schöne: »Liebster Janko mein,
hab´ ein kostbar Ringlein, strahlt wie Sonnenschein.
Bin dir hold gewogen, schenk´ es dir zum Pfand.
Weh! ich hab´s vergessen, badend an dem Strand.«

Wie er mit dem Ringlein wiederkehrte: schau,
Hing gebückt im Sattel eine welke Frau.
Ihre Zunge stöhnte: »Janko! du mein Sohn,
weh! ein Tröpfchen Wasser! Schnell! um Gotteslohn.«

Wie er mit dem Wasser kam zum selben Ort,
war zu Staub und Asche Weib und Pferd verdorrt.

Carl Spitteler

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schweizerischer Dichter und Romanautor, Nobelpreis für Literatur 1919
* 24.4. 1845 - Liestal
29.12. 1924 - Luzern
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