1

Es spielten auf der Blumenau
Die Kinder allzumal,
Die Sonne sank, der Mond sah hell
Herab ins stille Tal.

Da nahte eine Mutter sich
Und winkte ihrem Sohn.
Der Knabe sah sie bittend an:
"Ach, liebste Mutter, schon?"

Die Mutter ging mit ihm nach Haus
Und zog ihm aus das Kleid,
Der Knabe trotzte: fern von mir
Sind Schlaf und Müdigkeit!

Die Mutter brachte ihn zu Bett,
Das kränkte ihn gar tief;
Sein Auge war noch tränenfeucht,
Als er schon ruhig schlief.

Ich frug: warum muß euer Kind
So früh zu Bette gehn?
Die Mutter lächelte mich an:
"Um fröhlich aufzustehn!"

2

Ich ging nach einer kurzen Frist
Dem kleinen Haus vorbei;
Ich sah die Fenster dicht verhüllt
Und hörte Wehgeschrei.

Ich ging hinein, da sah ich bald,
Was hier geschehen war,
Der muntre Knabe, still und bleich,
Lag auf der Totenbahr.

Die Mutter schaute auf zu mir,
Sie sah mich flehend an,
Ich wurde erst so still wie sie,
Doch tröstend sprach ich dann:

Der liebe Gott, er denkt wie du,
Läßt früh ihn schlafen gehn,
Damit er einst am Jüngsten Tag
Kann fröhlich auferstehn!

Friedrich Hebbel

Zusätzliche Informationen

»Hebbels Werke in vier Bänden«, 1. Band, 1921
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