Ich bin ein Prolet, vom Menschengetier
bin ich bei der untersten Klasse!
Ich bin ein Prolet! was kann ich dafür,
wenn ich keine Zier eurer Gasse?

Ich lebe stets von der Hand in den Mund,
trag, was ich verdien, in der Tasche:
Ich darf nicht denken, das macht mich gesund –
zur Betäubung dient mir die Flasche.

Ich bin ein Prolet, was kann ich dafür?
Doch gibt es gleich mir Millionen:
das tröstet mich, wenn die Not vor der Tür,
das tröstet mich beim Fronen!

Wir haben kein Haus, wir haben kein Gut,
wir haben nichts als Fäuste,
mit Schwielen bedeckt, zum Frondienst gut –
wir wissen nicht viel vom Geiste.

Wir sind vielleicht ein erbärmlich Geschlecht,
geboren den Nacken zu beugen –
Wir führen auch unseren Namen zu Recht:
Wir sind nur da, um zu zeugen.

Mit Samensträngen sind wir begabt,
millionenfach uns zu vermehren,
daß ihr, ihr Obern, die Hände habt,
die euch gemächlich ernähren.

Wir denken, denken nicht mehr daran,
daß wir euch könnten erschlagen:
Still ziehen wir unsere Lasten bergan –
wir können ja Lasten tragen.

Wir sind ein erbärmliches, ekles Geschlecht
und werden uns nie ermannen:
Ihr könnt uns getrost an den Wagen der Zeit
Als Zugvieh der Zukunft spannen.

Ludwig Scharf

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deutscher Lyriker
* 2.2. 1864 - Meckenheim, Pfalz
21.8. 1938 - Schloß Patosfa bei Kaposvár, Königreich Ungarn
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