Gedichte von Barthold Heinrich Brockes

Barthold Heinrich Brockes

Barthold Heinrich Brockes

deutscher Dichter und Schriftsteller
* 22.9. 1680 - Hamburg
16.1. 1747 - Hamburg

In einem angenehmen Herbst,
bey ganz entwölktem heiterm Wetter,
Indem ich im verdünnten Schatten,
bald Blätter-loser Bäume, geh´,
Und des so schön gefärbten Laubes
annoch vorhandnen Rest beseh´;
Befällt mich schnell ein sanfter Regen,
von selbst herabgesunkner Blätter.
Ein reges Schweben füllt die Luft.
Es zirkelt, schwärmt´ und drehte sich
Ihr bunt, sanft abwärts sinkend Heer;
doch selten im geraden Strich.
Es schien die Luft, sich zu bemühn,
den Schmuck, der sie bisher gezieret,
So lang es möglich, zu behalten,
und hindert´ ihren schnellen Fall.
Hiedurch ward ihre leichte Last,
im weiten Luft-Kreis überall,
In kleinen Zirkelchen bewegt,
in sanften Wirbeln umgeführet,
Bevor ein jedes seinen Zweck,
und seiner Mutter Schooß, berühret;
Um sie, bevor sie aufgelöst,
und sich dem Sichtlichen entrücken,
Mit Decken, die weit schöner noch,
als persianische, zu schmücken.
Ich hatte diesem sanften Sinken,
der Blätter lieblichem Gewühl,
Und dem dadurch, in heitrer Luft,
erregten angenehmen Spiel,
Der bunten Tropfen schwebendem,
im lindem Fall formiertem, Drehn,
Mit offnem Aug´, und ernstem Denken,
nun eine Zeitlang zugesehn;
Als ihr von dem geliebten Baum
freywilligs Scheiden (da durch Wind,
Durch Regen, durch den scharfen Nord,
sie nicht herabgestreifet sind;
Nein, willig ihren Sitz verlassen,
in ihren ungezwungnen Fällen)
Nach ernstem Denken, mich bewog,
sie mir zum Bilde vorzustellen,
Von einem wohlgeführten Alter,
und sanftem Sterben; Die hingegen,
Die, durch der Stürme strengen Hauch,
durch scharfen Frost, durch schwehren Regen
ihren Zweigen abgestreift und abgerissen,
kommen mir,
Wie Menschen, die durch Krieg und Brand
und Stahl gewaltsam fallen, für.
Wie glücklich, dacht´ ich, sind die Menschen,
die den freywillgen Blättern gleichen,
Und, wenn sie ihres Lebens Ziel,
in sanfter Ruh´ und Fried´, erreichen;
Der Ordnung der Natur zufolge,
gelassen scheiden, und erbleichen!

Die Erde hat gebebt und ihr geborstner Grund
Die Königin am Meer verschlungen,
Und schwärzre Trübsal noch droht unsrem armen Rund
Von schwärmender Propheten Zungen:
Wie aus bemoostem Schutt der Uhu, wann die Nacht
In furchtbarn Schatten ihn verstecket,
Auf stille Dächer fliegt, selbst melancholisch wacht,
Und heulend müde Städte wecket.
Auf Schwanenfedern horcht die Wollust und erschrickt;
Ein Schauer bebt durch ihre Glieder.
Der sorgenvolle Geiz, auch schlafend unerquickt,
Bebt heut und wuchert morgen wieder.
Propheten wimmeln stets in trüber Zeit hervor:
Der leichte Pöbel glaubt, er zittert,
Wie dürres Laub im Herbst, und wie das schwache Rohr
Der Flügel eines Wests erschüttert.
Ihr Musen, die ihr einst, im Frühling meiner Zeit,
Mich mit Ambrosia genähret,
Als ihr, in eurem Hayn voll heilger Dunkelheit,
Die deutsche Leyer mich gelehret!
Zufrieden dank ich euch, daß immer gleiche Lust
In meiner Seelen helle scheinet,
Und euer stiller Freund nicht, an der Thorheit Brust,
Nach Phantasien lacht und weinet.
O laßt, zu aller Zeit, mein Antlitz heiter seyn,
Nicht bloß in sonnenvollen Tagen,
Wann mich die Freude sucht, und Saitenspiel und Wein
Die Wolken vor mir her verjagen:
Nicht bloß im dunklen Busch und wo die Nachtigall
Bald singend über mir verweilet,
Bald an der Quelle seufzt, die reiner, als Crystall,
Geschwätzig über Kiesel eilet.
Es müss´ auf meiner Stirn, wann schon die Erde bebt,
Der göttliche Gedanke schimmern,
Daß Tugend glücklich ist und meine Seele lebt,
Auch unter ganzer Welten Trümmern!

Gedichte von Barthold Heinrich Brockes
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