Der Schweiz
(Zum 1. August 1891)

In dieser Zeit, da überall das Wort
Sich schellenrasselnd drängt zum ersten Ort,
Da man mit Reden wider Reden ficht,
Aus Druckpapier sich Ruhmeskronen flicht –
In dieser Zeit gedenk´ ich jenes Tags
Als auf dem Rütli, eisenfesten Schlags,
Drei Männer-Hände klammernd sich verschränkten,
Drei Männer schweigend Aug´ in Auge senkten.
Zu Thaten war – zu Reden keine Zeit;
Man sprach ein Wort – das aber war ein Eid. –

In dieser Zeit, da »Freiheit« rings erschallt
Und unverstanden durch die Seelen hallt,
Ein jeder Freiheit meinend, die ihm paßt,
Des andern Freiheit Ärger ihm und Last –
In dieser Zeit sei jenes Volks gedacht,
Das für die Freiheit Freistatt einst gemacht,
In einer Welt der Herren und Knechte
Aufstehend Einer für des Andern Rechte. –

Es sei gedacht, wie sechs Jahrhundert lang
Das Kleinod, das der Väter Faust errang,
Unsträflich in der Hand der Söhne blieb,
Keinem zuleide, keinem auch zulieb,
Unbeugsam allem, was da droben steht,
Um Gunst nicht buhlend, die von unten weht,
Deß eingedenk, daß Freiheit Mannesthat,
Nicht Spielzeug ist in müß´ger Knaben Rath.
Dir selber Herr, dir selber unterthan,
Du Volk der Männer, wandle deine Bahn. –

Ernst von Wildenbruch

Zusätzliche Informationen

»Lieder und Balladen«, Berlin, G. Grote´sche Verlagsbuchhandlung, 1900
Bitte anmelden, um Kommentare zu sehen und zu posten