Gestern, ah! das war ein Schweben,
Als zum Tanz die Hand sie gab!
Über Stock und Steine streben
Muß ich heut am Wanderstab.
Gestern glänzten weiße Brüste,
Die ein tiefes Athmen hob,
Heute starren in der Wüste
Felsenblöcke rauh und grob.
Gestern noch mit heißen Küssen
Deckte mich ihr weicher Mund,
Heut von scharfer Dorne Rissen
Trag´ ich Hand und Wange wund.
Gestern löste mir die Glieder
Süßer Liebe Feuertrank,
Heute lieg´ ich frierend nieder
Auf des Erdgrunds harte Bank.
Auf! Frischauf und nicht gezaget!
Weiter in die Welt hinein!
Immer zu und frisch gewaget,
Heute darf nicht gestern sein!

Friedrich Theodor von Vischer

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deutscher Philosoph und Lyriker, Erzähler, Ästhetiker
* 30.6. 1807 - Ludwigsburg
14.9. 1887 - Gmünden
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