Er geht schon über die Berge hin
Und über die eisigen Firne.
Wenn tiefe Not in den Hütten im Tal
Drückt auf die gemarterten Hirne.

Er ist nicht der Tod, er ist das Leben:
Bald steigt er herab in die Täler
Und sucht sich den Ort, einen Thron sich zu baun –
Er ist ein gar wählrischer Wähler.

Er hilft euch den Tod besiegen, er füllt
Euer Herz mit trunkenem Weine,
Und eure verbotensten Wünsche stillt
Der Starke, der Reiche, der Eine.

Und jede Schranke, die euch drückt,
Sie wird euch in Zukunft nicht drücken:
Es sprengt sein Wort der Gefängnisse Tor,
Reißt hartgliedrige Ketten in Stücke.

Schon wandelt er über die Berge hin
Mit seinem eisigen Hauche,
Noch unbegreiflich dem Menschensinn,
Unsichtbar noch seinem Auge.

Doch steigt er herab dereinst, dann schmilzt
Das älteste Gletschergeschiebe:
Dann bringt er gar Vielen den tötesten Tod
Und Manchem auch feurigste Liebe.

Ludwig Scharf

Zusätzliche Informationen

›Tschandala-Lieder‹ (1905), in: »Ludwig Scharf: Gesammelte Lyrik und Prosa. Mit einer Auswahl aus dem Briefwechsel«, hg. v. Walter Hettche, Aisthesis Archiv 16, Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2011.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Aisthesis Verlags

Mehr von

deutscher Lyriker
* 2.2. 1864 - Meckenheim, Pfalz
21.8. 1938 - Schloß Patosfa bei Kaposvár, Königreich Ungarn
Bitte anmelden, um Kommentare zu sehen und zu posten

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.