Jeden Morgen, wenn ich erwache,
Lern´ ich die Sprache der Menschen auf´s neu,
Die mir in lichtsatten nächtigen Träumen
Zerstoben, verflogen wie kornblinde Spreu.

Jeden Morgen, wenn ich erwache,
Samml´ ich auf´s neue mein irdisch Gebein,
Das ich im nächtigen Flug durch die Räume
Abgestreift wie ein lästig Gewand.

Und ungern, voll Mißmuth und widrigem Willen
Erheb ich die fröstelnden Glieder auf´s neu,
Drein sich die Seele im innersten Marke
Verkrochen vorm Alltag in angstvoller Scheu.

Und ich verstehe das alte Märchen
Vom Leben der Toten im Paradies,
Vom modernden Leib und der lodernden Seele –
Das uralte Märchen, so thöricht-süß …

Ludwig Scharf

Zusätzliche Informationen

›Verstreut veröffentlichte und handschriftlich überlieferte Gedichte‹ (1883-1926), in: »Ludwig Scharf: Gesammelte Lyrik und Prosa. Mit einer Auswahl aus dem Briefwechsel«, hg. v. Walter Hettche, Aisthesis Archiv 16, Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2011. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Aisthesis Verlags

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deutscher Lyriker
* 2.2. 1864 - Meckenheim, Pfalz
21.8. 1938 - Schloß Patosfa bei Kaposvár, Königreich Ungarn
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