Oft ist es mir, als säh´ ich niedergleitenDie Schleier still und leise von den Dingen,Mein Auge kann das weite All durchdringenUnd blickt zurück zum Urquell aller Zeiten.Ich sehe, wie die Fäden sich bereiten,Wie sie sich knüpfen, kreuzen und verschlingen –Und so die Tage immer näher bringen,Die zu den unsren ernst herüberleiten.Dann fühl´ ich mit dem Fernsten mich verwobenUnd in mir leben jedes Einzelleben,Das hier geatmet und geblickt nach oben.Mein eignes Ich, mit tiefgeheimem Beben,Seh´ ich zur Welt erweitert und erhoben –Und mit ihr, wie ein Traum, in Nichts verschweben.
Ich kenne einen Menschen, der als Anachoret,Wie einst die heil´gen Büßer, auf hoher Säule steht.Im Sommer brennt hernieden versengend heißer Strahl,Im Winter muß er dulden des Frostes starre Qual.Der Glieder freies Regen, es ist ihm, ach, verwehrt;Von ferne muß er schauen, was tief sein Herz begehrt.Stumm geht die Welt vorüber und reicht ihm kühl hinan,Was seine Pein verlängern, doch sie nicht lindern kann.So steht er viele Jahre – gern stürzt´ er sich hinab,Doch schaudert ihm noch immer vorm Sprung ins tiefe Grab.Man wird ihn seh´n dort oben, bis einst sein Hauch entwich:Die Säule ist das Leben – der Mensch jedoch bin ich.
Ein Fremdling bist du,Ein seltsamer Fremdling, o meine Seele,In diesem Erdengetriebe.Ringsum qualmt Selbstsucht und Hoffart zum Himmel,Laster und Torheit wuchern in üppiger BlüteUnd lustig schießen empor die tauben Halme der Eitelkeit.Und siehe: die Welt erträgt es!Sie erträgt es nicht bloß,Sie opfert der Selbstsucht,Beugt sich der Hoffart,Mästet Torheit und LasterUnd schmeichelt der Eitelkeit.Aber wehe dir, arme Seele,Wenn zu Tage tritt,Daß auch du staubgeboren,Und einmal dich betreten lässestauf menschlicher ArtUnd menschlicher Schwäche.Da geifert´s sogleich in der Runde!Da predigt die Selbstsucht Entsagung,Die Hoffart Demut,Das Laster Tugend –Und Torheit und EitelkeitHaben für dich ein Lächeln des Hohnes . . .Fürwahr ein Fremdling bist du,Ein seltsamer Fremdling, o meine Seele,In diesem Erdengetriebe.
In meinem Leben gab es böse Jahre –Wie jene aus der Bibel waren´s sieben –Da hat mich ein Verhängniß umgetrieben,Ich wandelte – und lag doch auf der Bahre.Nicht ein Erinnern, das ich voll bewahreAus jener Zeit, wo, ohne Frucht geblieben,Mein Geist in ödem Denken sich zerrieben,Und Gram und Sorge bleichten meine Haare!Gleich schwerem Traum zerfloß ihr dunkles Walten,Und auf vernarbte Wunden kann ich zeigen,Kaum wissend mehr, von wem ich sie erhalten.Nur manchmal, einzeln und in wirrem Reigen,Auftauchen schattenhafte Mahngestalten:Männer und Frau´n, die wie aus Gräbern steigen.
Schon blicken rote WipfelAus fahlem Laub hervor,Leis´ um der Berge GipfelWallt lichter Nebelflor.Schon folgt dem SchnitterreigenDes Jägers rascher Schuß –Doch reift´s noch an den ZweigenIm letzten Sonnenkuß.Bald nahen frohe Hände,Sie schütteln Ast um Ast,Sie brechen vom GeländeDer Trauben süße Last.Denn so ist´s allerwegen:Daß für des Sommers FleißMit köstlich reichem SegenDer Herbst zu lohnen weiß.Doch was ist dir beschieden,Der du die Zeit verträumt,Der du, zu sä´n hienieden,Zu pflanzen hast versäumt?Da du im FrühlingshaucheNach Rosen nur gesucht:So pflück´ vom dorn´gen StraucheDir jetzt die herbe Frucht.
Was an Schmerzen du erfahren,Ist vergessen auch zur Stund´,Küßt nach langen, öden JahrenWieder dich ein schöner Mund.Was die Zeit an Ruhm dir raubte,Hast du doppelt reich und schnell,Wenn dein Kranz, der früh entlaubte,Wieder ausschlägt grün und hell.Darum sel´ge Tränen weine,Wird dir noch ein spätes Glück:Denn es bleibt nun auch das deine,Und kein Gott nimmt´s mehr zurück!
Schelte man doch nicht den Dichter,Wenn auch er zuweilen sinkt,Und wie anderes GelichterAus des Lebens Pfütze trinkt.Reiner nur in Gegensätzen,Heller tönt empor sein Lied;Nimmer weiß das Licht zu schätzen, Wer das Dunkel stets vermied.Wie ihn auch sein Wipfel kröne,Wurzelt doch in Nacht und Stamm –Und der Lilie keusche SchöneBlühet aus des Teiches Schlamm!
Wie lieb´ ich es, an SonntagnachmittagenAllein zu sitzen im vertrauten Zimmer;Durchs Fenster bricht der Sonne heller Schimmer,Das Buch vergoldend, das ich aufgeschlagen.Die Straßen; es rollen keine Wagen;Des Marktes Lärm verstummt, als wär´s auf immer,Und all des Sonntagsstaates bunter Flimmer,Er ward hinaus in Wald Flur getragen.Verlassen fühlt sich, wer zurückgeblieben,Und manches schöne Auge blickt verdrossen,Und manche Wünsche unerfüllt zerstieben.Es ruht das Leben, wie in sich zerflossen;Doch still erfüllt sich auch geheimes Lieben,Und einsam wird des Geistes Glück genossen.