Es ist des Menschen Fluch und sein Verhängnis,Daß seine Fehler sicher wirkend schreitenUnd, offenkundig rings, ihm gleich bereitenJedweden Schmerz und jegliche Bedrängnis.Sein Bestes aber lebt wie im GefängnisUnd seine Tugenden sind Heimlichkeiten;Er selber muß sie zweifelnd oft bestreiten,Rauh überlassen seiner Herzensbängnis.Denn diese Welt, so rasch im Schulderkennen,So gern bereit, werktätig sich zu zeigen,Sobald es gilt, ein Schandmal aufzubrennen:Sie hüllt sich allsogleich in starres Schweigen,Soll sie ein echt Verdienst beim Namen nennenUnd einem hohen Wollen sich verneigen.
Ein Fremdling bist du,Ein seltsamer Fremdling, o meine Seele,In diesem Erdengetriebe.Ringsum qualmt Selbstsucht und Hoffart zum Himmel,Laster und Torheit wuchern in üppiger BlüteUnd lustig schießen empor die tauben Halme der Eitelkeit.Und siehe: die Welt erträgt es!Sie erträgt es nicht bloß,Sie opfert der Selbstsucht,Beugt sich der Hoffart,Mästet Torheit und LasterUnd schmeichelt der Eitelkeit.Aber wehe dir, arme Seele,Wenn zu Tage tritt,Daß auch du staubgeboren,Und einmal dich betreten lässestauf menschlicher ArtUnd menschlicher Schwäche.Da geifert´s sogleich in der Runde!Da predigt die Selbstsucht Entsagung,Die Hoffart Demut,Das Laster Tugend –Und Torheit und EitelkeitHaben für dich ein Lächeln des Hohnes . . .Fürwahr ein Fremdling bist du,Ein seltsamer Fremdling, o meine Seele,In diesem Erdengetriebe.
Der du die Wälder färbst,Sonniger, milder Herbst,Schöner als RosenblühnDünkt mir dein sanftes Glühn.Nimmermehr Sturm und Drang,Nimmermehr Sehnsuchtsklang;Leise nur atmest duTiefer Erfüllung Ruh.Aber vernehmbar auchKlaget ein scheuer Hauch,Der durch die Blätter weht,Daß es zu Ende geht.
Ich kenne einen Menschen, der als Anachoret,Wie einst die heil´gen Büßer, auf hoher Säule steht.Im Sommer brennt hernieden versengend heißer Strahl,Im Winter muß er dulden des Frostes starre Qual.Der Glieder freies Regen, es ist ihm, ach, verwehrt;Von ferne muß er schauen, was tief sein Herz begehrt.Stumm geht die Welt vorüber und reicht ihm kühl hinan,Was seine Pein verlängern, doch sie nicht lindern kann.So steht er viele Jahre – gern stürzt´ er sich hinab,Doch schaudert ihm noch immer vorm Sprung ins tiefe Grab.Man wird ihn seh´n dort oben, bis einst sein Hauch entwich:Die Säule ist das Leben – der Mensch jedoch bin ich.
Wer einmal einen tiefen Schmerz erlitten,Ist nicht mehr jung. Bis dahin war er´s,Und hätte silberweiß sein Haar bereitsDen tiefgebeugten Scheitel ihm umglänzt.Wer zählt die Jahre, wenn er glücklich ist?Er lebt und weiß nicht, daß er lebt.Der Schmerz erst ist die Grenze, wo wir weinendZurück und schaudernd vorwärts blicken.
Willst du die Leiden dieser Erde,Der Menschheit Jammer ganz versteh´n,Mußt du mit scheuer GramgebärdeEin Kind im stillen weinen seh´n;Ein Kind, das eben fortgewichenAus fröhlicher Gespielen KreisUnd nun, vom ersten Schmerz beschlichen,In Tränen ausbricht, stumm und heiß.Du weißt nicht, was das kleine WesenSo rauh und plötzlich angefaßt –Doch ist´s in seinem Blick zu lesen,Wie es schon fühlt des Daseins Last.Wie es sich bang und immer bängerZurück schon in sein Innres zieht,Weil es Bedränger auf BedrängerMit leisem Schaudern kommen sieht.Willst du die Leiden dieser Erde,Der Menschheit Jammer ganz versteh´n:Mußt du mit scheuer GramgebärdeEin Kind im stillen weinen seh´n.
Wieder mit Flügeln, aus Sternen gewoben,Senkst du herab dich, o heilige Nacht;Was durch Jahrhunderte alles zerstoben –Du noch bewahrst deine leuchtende Pracht.Ging auch der Welt schon der Heiland verloren,Der sich dem Dunkel der Zeiten entrang,Wird er doch immer aufs neue geboren,Nahst du, Geweihte, dem irdischen Drang.Selig durchschauernd kindliche Herzen,Bist du des Glaubens süßester Rest;Fröhlich begangen bei flammenden Kerzen,Bist du das schönste, das menschlichste Fest.Leerend das Füllhorn beglückender Liebe,Schwebst von Geschlecht zu Geschlecht du vertraut –Wo ist die Brust, die verschlossen dir bliebe,Nicht dich begrüßte mit innigstem Laut?Und so klingt heut noch das Wort von der Lippe,Das einst in Bethlehem preisend erklang,Strahlet noch immer die lieblichste Krippe –Tönt aus der Ferne der Hirten Gesang .....Was auch im Sturme der Zeiten zerstoben –Senke herab dich in ewiger Pracht,Leuchtende du, aus Sternen gewoben,Frohe, harzduftende, heilige Nacht!
Das aber nehmt euch einmal zu Verstande:Daß einer nie sein Höchstes kann vollbringen,Wenn nicht ein Gott ihm gnädig löst die Schwingen,Und nicht ein günst´ger Wind ihn treibt vom Strande.Denn nie gedeiht der Baum in dumpfem Sande,Zu Tod sich flattern muß der Aar in Schlingen –Und ernstes Tun kann stets nur halb gelingen,Wenn sich die Mitwelt freut an hohlem Tande.Ja, ob auch eigne Kraft und tiefstes WollenDie Größe hebt aus den gemeinen Gleisen:Des Lebens Mächten muß ein jeder zollen.Drum laßt das Wicht´ge mit dem Finger Weisen,Seht einen Mann ihr schöpfen aus dem Vollen:Ihn selbst nicht – seinen Stern nur mögt ihr preisen.
Jahr um Jahr hab´ ich gerungenUnd erlitten Schmerz um Schmerz;Aber stark und unbezwungenHielt sich mein gequältes Herz.Wie sich auch die Wolken ballten,Wie das Leben sich verschwor –Mit stets reinerem EntfaltenSchwang sich still mein Geist empor.Treu erglühend für das Echte,Hab´ ich fast das Ziel erreicht;Blickt mich an, ihr ew´gen Mächte:Dieser Scheitel ist gebleicht.Und die Flamme meines LebensNeigt sich mählich zum Verglüh´n –Gönnt mir noch den Rest des Strebens,Gönnt mir noch ein letztes Müh´n.Laßt mich noch getrost vollenden,Was ich ernst und fest begann,Und auf sanften GötterhändenTraget mich von hinnen dann! –Also fleh´ ich, von den SchwingenDer Erfüllung leis umweht –Und doch fürchtend, daß mein RingenIm Verhängnis untergeht!