Oft ist es mir, als säh´ ich niedergleitenDie Schleier still und leise von den Dingen,Mein Auge kann das weite All durchdringenUnd blickt zurück zum Urquell aller Zeiten.Ich sehe, wie die Fäden sich bereiten,Wie sie sich knüpfen, kreuzen und verschlingen –Und so die Tage immer näher bringen,Die zu den unsren ernst herüberleiten.Dann fühl´ ich mit dem Fernsten mich verwobenUnd in mir leben jedes Einzelleben,Das hier geatmet und geblickt nach oben.Mein eignes Ich, mit tiefgeheimem Beben,Seh´ ich zur Welt erweitert und erhoben –Und mit ihr, wie ein Traum, in Nichts verschweben.
O wein´ dich aus an meiner Brust,Laß in dein Herz mich seh´n;Und wärst du noch so schuldbewußt:Ich kann dich ganz versteh´n.Denn nennen kannst du mir kein Leid,Das nicht schon traf auch mich;Auch mir droht noch Vergangenheit –Und schuldig war auch ich.Auch meine Wange hat gebranntIn der Beschämung Rot –Verloren hab´ ich mich genanntUnd mir erhofft den Tod.D´rum wein´ dich aus an meiner Brust,Ich kann dich ganz versteh´n,Und wärst du noch so schuldbewußt:Getröstet wirst du geh´n!
Wer da zu früh die Gunst der Welt erfahrenUnd ihres Beifalls Übermaß errungen,Der wird sofort, von Hochmut rasch durchdrungen,Die menschliche Gemeinheit offenbaren.Schon auf dem Gipfel wird er sich gewahren,Gewappnet, wie dem Haupt des Zeus entsprungen;Verachten wird er dreist der Wahrheit Zungen,Ungnädig sein – auch gegen Schmeichlerscharen.Er fühlt sich, und die höchste selbst der KronenVermag ihm keine Demut einzuflößen:Daß er sie trägt, soll euch, nicht ihn belohnen.Blickt doch nur hin nach euren Ruhmesgrößen,Wie sie da rings als schnöde Götzen tronen,Zum Dank euch weisend ihre Hinterblößen.
Schelte man doch nicht den Dichter,Wenn auch er zuweilen sinkt,Und wie anderes GelichterAus des Lebens Pfütze trinkt.Reiner nur in Gegensätzen,Heller tönt empor sein Lied;Nimmer weiß das Licht zu schätzen, Wer das Dunkel stets vermied.Wie ihn auch sein Wipfel kröne,Wurzelt doch in Nacht und Stamm –Und der Lilie keusche SchöneBlühet aus des Teiches Schlamm!
Es ist des Menschen Fluch und sein Verhängnis,Daß seine Fehler sicher wirkend schreitenUnd, offenkundig rings, ihm gleich bereitenJedweden Schmerz und jegliche Bedrängnis.Sein Bestes aber lebt wie im GefängnisUnd seine Tugenden sind Heimlichkeiten;Er selber muß sie zweifelnd oft bestreiten,Rauh überlassen seiner Herzensbängnis.Denn diese Welt, so rasch im Schulderkennen,So gern bereit, werktätig sich zu zeigen,Sobald es gilt, ein Schandmal aufzubrennen:Sie hüllt sich allsogleich in starres Schweigen,Soll sie ein echt Verdienst beim Namen nennenUnd einem hohen Wollen sich verneigen.
Wer einmal einen tiefen Schmerz erlitten,Ist nicht mehr jung. Bis dahin war er´s,Und hätte silberweiß sein Haar bereitsDen tiefgebeugten Scheitel ihm umglänzt.Wer zählt die Jahre, wenn er glücklich ist?Er lebt und weiß nicht, daß er lebt.Der Schmerz erst ist die Grenze, wo wir weinendZurück und schaudernd vorwärts blicken.
Wer mehr, als er verschuldet,Erlitten und erduldet,Der ist zuletzt gefeit;Wie immer er auch wandle,Wie immer er auch handle:Geschlichtet ist der Streit.Denn endlich naht die Stunde,Wo tief im HerzensgrundeDie Frage lauter spricht:Wem ward ein Recht gegeben –Wer wagt es hier im Leben,Zu halten ein Gericht?Ja, was da auch geschehe,Zum Wohl oder zum Wehe,Geschieht´s nicht, weil es muß?»Drum will ich siegreich fallenMit meinen Wunden allen!«Ruft dann der Mensch zum Schluß.Er ruft´s und will nicht haltenZurück mehr die Gewalten,Die man das Schicksal heißt –Und fragt sich nicht mehr bange,Wen er bei UntergangeMit sich zum Orkus reißt!
O nie in eitlem Hochmuth sprich es aus,Daß Dieser oder Jener nichts bedeute;Mit deinem letzten Urtheil halte Haus:Denn nicht so leicht ergründest du die Leute.In Jedem schlummert eine sond´re Kraft,Vielleicht noch von ihm selber unbeachtet,Die plötzlich sich emporhebt, geisterhaft,Und nimmer duldet, daß man sie verachtet.Und so geschieht es, daß oft Weisheit sprichtAus Solchen, die wie Thoren stets erschienen,Daß heil´ger Muth aus schwachen Seelen bricht –Du aber stehst sodann beschämt vor ihnen.Das heißt, wenn du nicht ganz verhärtet bistUnd fähig noch, in Reue zu entbrennen;Wer vor der Wahrheit gerne sich verschließt,Wird sie zuletzt auch gar nicht mehr erkennen.
Lächelt nur wissensstolzVon euren BücherhekatombenUnd euren Kathedern herab,Wenn der Dichter singt:Selig sind die Armen im Geiste!Ja, selig sind sie –Selig wie Kinder,Die, halb noch an nährender Mutterbrust,Halb schon die ersten Schritte tun,Von Blumen und Faltern gelenktUnd vom Zwitschern des Vogels,Aber verschüchtert sogleichVor jedem rauschenden LufthauchZurück sich flüchten in die schützende Hut.Nur Nächstes im Auge,Greifen sie nach dem Nächsten nur –Und so leben sie hinGute und böse Tage,Harmlos, als müßt´ es so sein,Nur das eigene Wohl und Weh bedenkend.Inzwischen schreitet an ihnen vorüber die ZeitUnd reißt die AhnungslosenWie im Traum mit sich fort.Und wenn sie dann plötzlichErwachen bei unsanftem Ruck,Blicken sie auf und fragen in rührender Unschuld: was ist? –Ja, was ist!? Ihr andernKönnt es ihnen sagen:Denn ihr wißt es.Dann horchen sie aufUnd stehen beschämt –Und klug wie zuvor.Sie begreifen nichts,Sie lernen nichts,Und fremd bleibt ihnen alles,Was ihr preist als die höchsten Triumphe der Menschheit.Aber dafür auchBleibt ihnen erspart die letzte Erkenntnis:Die Erkenntnis der eigenen NichtigkeitUnd das öde BewußtseinVon des ewigen Einerlei trostloser Wiederkehr.
Es hat der ernste Gang der JahreDein Antlitz leise schon gekerbtUnd dir die dunkelbraunen HaareZu mattem Silber fast entfärbt.Doch hold und schlank sind noch die Glieder,Die du so leicht im Gange regst,Und reich hängt deine Flechte nieder,Wenn du sie tief im Nacken trägst.Und Stunden gibt es, wo die ganzeZurückhängende Jugend brichtAus deinem Aug mit scheuem Glanze,Der von verlornem Leben spricht.Dann will es schmerzlich mich durchsprühen,Und küssen möcht ich deinen Mund!Du fühlst es, und mit sanftem GlühenErbebst du tief im Herzensgrund.So bebt des Herbstes letzte Traube,Vergessen von des Winzers Hand,Mit letzter Glut im fahlen Laube,Wenn sie ein später Wandrer fand.