Gedichte von Carl Spitteler

Carl Spitteler

Carl Spitteler

schweizerischer Dichter und Romanautor, Nobelpreis für Literatur 1919
* 24.4. 1845 - Liestal
29.12. 1924 - Luzern

Am Ütliberg im Züribiet,
Da steht ein Pulverturm im Riet;
Herr Pestalozzi, der Major,
Pflanzte drei Mann als Wacht davor.

"Hier bleibt ihr stehn, ihr Sackerlott!
Und daß sich keiner muckst und rodt!
Sonst - Strahl und Hagel - gibts etwas!
Verstanden? - Also: merkt euch das."

Drauf bog er um den Albisrank,
Wo er ein Tröpflein Roten trank.
Ein Schöpplein schöpft er oder zwei,
Da weckt ihn eine Melodei.

Dreistimmig wie ein Engelchor
Scholls hinterm Pulverturm hervor.
Da half kein Zweifeln: das ist klar!
Die Schildwach jodelte fürwahr.

Wer galoppiert jetzt ventre á terre
Wie Blitz und Strahl vom Albis her?
"Vor allem haltet dieses fest:
Drei Tage jeder in Arrest!

Ja wohl, das käm mir just noch recht!
Um eines aber bitt ich, sprecht,
Wie diese Frechheit euch gelingt,
Daß einer auf dem Posten singt?"

Da sprach der erste: "Kommandant!
Dort unten liegt mein Heimatland.
Ich schütz es mit der Flinte mein.
Wie sollt ich da nicht lustig sein?"

Der zweite sprach: "Herr Pestaluzz!
Seht ihr das Rathaus dort am Stutz?
Dort wähl ich meine sieben Herrn.
Drum dien ich froh; drum leist ich gern."

Der dritte sprach: "Ich halt als Norm:
´s ist eine Freud, die Uniform.
´s ist eine mutige Mannespflicht.
Da muß man jauchzen. Oder nicht?"

Der Junker schrie: "Zum Teufel hin!
Die erste Pflicht heißt Disziplin!
Ihr Lauser! wart! euch krieg ich schon!
Glaubt mirs!" Und wetterte davon

Am selbigen Abend spät indes
Meint Oberst Bodmer in der Meß:
"Was Kuckucks hat nur der Major?
Er kommt mir heut ganz närrisch vor!

Singt, pfeift und möggt in seinen Bart.
Das ist doch sonst nicht seine Art."
Der Pestalozzi hörte das,
Sprang auf den Stuhl und hob sein Glas:

"Mein lieber Vetter Ferdinand,
Stadtrat und Oberst zubenannt!!
Wenn einer kommt und hat die Ehr
Und dient in solchem Militär

Von wetterfestem Bürgerholz,
Gesteift von Trotz, gestählt von Stolz,
Lausketzer, die man büßen muß,
Weil ihnen schildern ein Genuß,

Mannschaften, wo der letzte Hund
Hat ein Ideal im Hintergrund -
Komm her beim Styx! stoß an beim Eid!
Wer da nicht mitmöggt, tut mir leid."

Durch die Pappeln glänzte der Vollmond schon.
Mit der Geißel zeigte der Postillon:
"Meine Herren, dort oben im Mondenschein
Die Mauer, die nennt man den Kummerstein.
Es geht eine Sage schaurig und graus
Darüber im Lande bei uns zu Haus.

Vor alten Zeiten, entschwunden längst,
Saß dort an der Straße ein stummes Gespenst.
Wer einmal demselben ins Auge gesehn,
Mußt selbigen Jahres zugrunde gehn.
Schlich traurig umher und härmte sich
Und weinte zuweilen bitterlich.
Warum? Ja was weiß ich, es steht nicht im Buch.
Es heißt, man behauptet, es war ein Fluch.
Die einen glaubens, die andern nicht.
´s ist halt so ein Märchen, ´s ist halt ein Gedicht."

Die Herrchen verlachten die alberne Mär.
Doch als nun die Mauer kam näher daher,
Da lief ob dem alten verspotteten Wahn
Ein heimliches Frösteln im Rücken sie an,
Indessen der Kutscher vor Angst und Not
Gespäßlein und Mätzlein zum besten bot.
Da sprang in den Acker der Sattelhengst -
Wahrhaftig, dort sitzt es, das Kummergespenst!
Was schaukelt es auf den Knien sein?
Des Kutschers lebendiges Töchterlein.
Das lachte gar lustig und wohlgemut.
Dem Vater gefror im Herzen das Blut.

Doch tröstlich der Geist jetzt zu reden begann:
"Habt Frieden! gelöst ist der böse Bann.
Der Kummer in meinem tödlichen Blick,
Er sang von verschollener Welten Geschick.
Weh jenem, der fühlend die Vorzeit begreift:
Sein Geist über Ströme von Tränen schweift.
Mit Blut bis zum Hals ist die Erde gedüngt,
Durch Kinder und Toren wird sie verjüngt.
Weißt, wie man dem Fluche den Dorn entreißt?
Schaff einen, der von dem Fluche nichts weißt.
Man darf, was verschmerzt ist, nicht schmerzen lan,
Ich aber will jetzo zur Rüste gahn."

Er sprachs und das Kindlein Gott empfahl,
Stieg nieder und seufzte zum letztenmal.

Ein Flößerjunge trieb zur Stadt flußabwärts mit dem Floß,
Das Floß zog durch den finstern Wald mit Tannen schlank und groß

In einer stillen Seitenbucht sah er der Fräulein viel
Vor einem Inselgartenkiosk jagen im Pfänderspiel.

Vorübergleiten wollte da der kluge Ferge sacht.
Da hatte sich die kecke Schar zum Angriff aufgemacht.

Sie stürmten schreiend an den Strand und enterten das Boot
Und führten ihn gefangen fort. Das litt er ohne Not.

Man band mit einem roten Tuch ihm fest die Augen zu.
"Nun fange dir ein Schätzelein, du frecher Bube du!"

Husch! tappt er blindlings hin und her, reckte den schnellen Arm.
Fischte mit krummen Fingern flink unter dem Mädchenschwarm.

Jetzt faßt er etwas Zappliges am Schopf und Lockenbund,
Das hielt er mit den Armen fest und küßt es auf den Mund.

Sie aber riß ihm zornentbrannt die Binde vom Gesicht:
"Hättest du erraten, wen du fingst, so küßtest du mich nicht."

Der Flößer sah sie blinzelnd an und lächelte ein klein.
"Du bist", versetzt er, "Wildubrand, des Kaisers Töchterlein."

"Ich bin’s", bejahte Wildubrand, "und weil, was du getan,
Du ohne Arglist hast verübt, biet ich dir Gnade an.

Doch wenn dein schnöder Bauernmund, von Eitelkeit gebläht,
Auch nur mit einem einzigen Wort und Zeichen je verrät,

Wes du dich unterfangen, dann - dann Büblein, gnad dir Gott!
Man heilt der Fürstenkinder Ruf mit Henker und Schafott."

Er schwur zu Schweigen immerdar, er schwur es ohne Trug!
Das Glück im stillen Herzensgrund, es schien ihm Glück genug.

Drauf setzt er weiter mit dem Floß die unterbrochne Fahrt,
Platt auf den Rücken hingestreckt, wie das so seine Art.

Und als nun durch den kühlen Bühl die warme Sonne schien,
Da kam allmählich unvermerkt der Schlummer über ihn.

Das Floß ging seinen stillen Gang, gleitend von Baum zu Baum,
Den Flößerjungen schaukelte ein wonniglicher Traum.

Jetzt flüstert er und lallt im Schlaf: "Ihr lieben Leute, wißt:
Ich hab des Kaisers Töchterlein, die Wildubrand, geküßt."

Ein Wiedehopf im Weidenbusch vernahm das frevle Wort,
Das bracht er mit gesträubtem Schopf entsetzt zur Elster fort.

Die Elster trugs zum Papagei, der Papagei zum Star.
Nach einer Stunde wußt es schon die ganze Spatzenschar.

Und als am Abend vor der Stadt er landete beim Zoll,
Da war der ganze Hafenplatz von wildem Aufruhr voll.

Die Menge schrie ihm ins Gesicht, und heimlich seinen Arm
Erfasste mit behendem Griff ein grimmiger Gendarm.

Der führt ihn stracks zum Henker hin, der Henker aufs Schafott.
Da nahte mit dem Kruzifix ein Mönch, gesandt von Gott:

"Bekenne, beichte mir ins Ohr die Sünden alle dein."
"Ich hab geküßt die Wildubrand, des Kaisers Töchterlein."

Der Henker schor die Locken ihm und zog ihm aus den Rock,
Dann legt er ihm das junge Haupt behutsam auf den Block:

"Sprich einen frommen Abschiedsspruch zum Volke klar und laut,
Damit an deiner Reue sich der Gläubige erbaut."

Der Flößer hob den feuchten Blick zum fernen Tannenwald,
Dann schickt er über Stadt und Land die Stimme mit Gewalt:

"O lieber Henker, ziele gut mit deinem scharfen Beil,
Ich spüre keine Reue nicht und hab auch keine feil.

Mein Seel gehört dem lieben Gott, dem Kaiser ist mein Blut,
Doch, daß ich Wildubrand geküßt, des bin ich frohgemut.

Ich jauchz es durch die weite Welt und wills im Himmel schrein:
Ich hab geküßt die Wildubrand, des Kaisers Töchterlein."

Bei strömendem Regen im Biwuak
Kampierten drei müde Rekruten.
Sie legten den Kopf auf den Mantelsack
Und zogen den Hals in die Kutten

Der Regen rauschte, sie merktens kaum,
Und sachte, vom Wunsch zum Gedanken
Begann in Bälde ein tröstlicher Traum
Vor ihren Augen zu schwanken.

Sie meinten in ihrer Phantasei,
Als wären sie schon Generäle,
Im Schlachtengetümmel und Feldgeschrei
Diktierend die barschen Befehle.

Gemeinsam dünkte den dreien vereint,
Man wolle sie überflügeln
Und unerschöpflich flute der Feind
Herab von den mörderischen Hügeln.

Und Adjutanten kämen gesprengt,
Bleichwangig, umblitzt von Granaten:
"Wir sind umzingelt und eingezwängt.
Man meutert. Man wähnt sich verraten."

Da sprach der erste: "Ich hab einen Kern
Von Jägern und von Husaren.
Der Teufel ist ledig und Hilfe ist fern,
Jetzt gilt es, die Ehre zu wahren."

Ingrimmig faßt er den Säbelknauf,
Ermahnte zur Pflicht und zur Ehre,
Dann vorwärts ging es in rasendem Lauf,
Als ob es der Sturmwind wäre.

Aus tausend Schlünden zischte der Tod,
Sie grüßten ihn ohne Bangen,
Die meisten färbten den Boden rot,
Er fiel und wurde gefangen.

Bewundernd pflegt ihn der edle Feind
Und schenkt ihm den rühmlichen Degen.
Er hatte seit Jahren nie geweint,
Jetzt spürt er im Auge sich´s regen

Der zweite sprach: "Ich habe zur Hand
Ein Häuflein von Veteranen,
Ergeben Gott und dem Vaterland
Gehorsam dem Winke der Fahnen."

Rasch formt er das Viereck zum letzten Stoß.
"Brüder", begann er begeistert,
"Gott ist uns dawider, der Feind ist zu groß,
Der Tod nur wird niemals bemeistert.

Heut heißt es bekunden, was einer wert,
Und ob den Vätern wir gleichen.
Wir kämpfen, so lange der Atem währt,
Und hemmen den Durchpaß als Leichen."

"Hurra!" erscholl es wie Donnergebraus.
Dann rückten sie mit Gesange
Langsam aus dem schirmenden Hohlweg hinaus
Zum heiligen Todesgange.

Und als am Abend nach bitterem Streit
Man sah nach den Toten und Wunden,
Da ward von dem Samaritergeleit
Ein schaurig Schauspiel gefunden.

Zu Bergen starrte die tapfere Schar,
Leichnam auf Leichnam geschichtet,
Im toten noch boten Trotz sie dar,
Das Antlitz feindwärts gerichtet.

Und Freund und Gegner entblößten sich stumm
Vor des Anblicks grausiger Schöne,
Und flüsternd gings in den Reihen um:
"Hier schaut man Heldensöhne."

Doch der dritte schweigend die Karte las
Auf der Brüstung der Kirchhofmauer.
Mitunter hob er das Augenglas
Und nahm den Feind auf die Lauer.

Er spähte nach rechts und spähte nach links,
Die Augen funkelnd vor Tücke.
Wahrhaftig entdeckt er plötzlicherdings
Im Ring die erlösende Lücke.

Und eh einer wußte, wie das geschah,
Hatt er flugs in die Bresche geschmissen
Die Reserven alle von fern und nah
Und dem Feinde die Walstatt entrissen.

Der Regen plätscherte nach wie vor.
Da stieg auf verborgenen Stegen
Gewappnet ein riesiger Geist empor
Und schwebte heran durch den Regen.

Er nickte dem letzten: "Herr General,
Wir lernen uns näher kennen.
Ob früher, ob später, es wird einmal
Der Ruhm deinen Namen nennen.

Ihr andern beide, merkt euch den Satz:
Entschlagt euch das Oberbefehlen.
In jeglichem Regimente ist Platz
Für mutige Fähndrichsseelen.

Pflicht, Ehre, Begeisterung geb ich euch feil,
Sich bescheidend im Unterliegen.
Generäle brauch ich im Gegenteil,
Die nicht vergessen zu siegen."

Gedichte von Carl Spitteler (Seite 2)
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