Hab Achtung vor dem MenschenbildUnd denke, daß, wie auch verborgen,Darin für irgendeinen MorgenDer Keim zu allem Höchsten schwillt!Hab Achtung vor dem MenschenbildUnd denke, daß, wie tief er stecke,Ein Hauch des Lebens, der ihn wecke,Vielleicht aus deiner Seele quillt!Hab Achtung vor dem Menschenbild!Die Ewigkeit hat eine Stunde,Wo jegliches dir eine WundeUnd wenn nicht die, ein Sehnen stillt!
Was ist das für ein FrauenbildIn dürftigen Gewand?Sie stützt ein Antlitz krank und mild,In eine weiße Hand.Sie sieht nach mir, wird rot und bleich,Lacht gellend auf und weintUnd ist dem Regentropfen gleich,Drch den die Sonne scheint.Ach, jetzt versteh´ ich ihren Schmerz,Und er betrübt mich sehr:Einst liebt ich dich, du armes Herz,Nun kannt´ ich dich nicht mehr.Doch wer erkennt ein Blumenbeet,Das ihn im Lenz entzückt,Wenn zwischen Herbst und Winter spätDer Sturm die Stengel knickt!
Unendlich dehnt sie sich, die weiße Fläche,bis auf den letzten Hauch von Leben leer;die muntern Pulse stocken längst, die Bäche,es regt sich selbst der kalte Wind nicht mehr.Der Rabe dort, im Berg von Schnee und Eise,erstarrt und hungrig, gräbt sich tief hinab,und gräbt er nicht heraus den Bissen Speise,so gräbt er, glaub´ ich, sich hinein ins Grab.Die Sonne, einmal noch durch Wolken blitzend,wirft einen letzten Blick auf´s öde Land,doch, gähnend auf dem Thron des Lebens sitzend,trotzt ihr der Tod im weissen Festgewand.
Ich seh´ dein Haupt mit Lorbeer´n reich bekränzt, Doch auch vom Schnee des Alters weiß umglänzt. O, kauftest du, der Welt, wie dir, zum Glück, Jetzt für den Kranz die Locken dir zurück! Du würdest durch den Ruhm, der dich verklärt, Des Lebens, das er kostet, doppelt wert: Warum versagt dir die Natur den Preis? Welch einen Jüngling gäbe solch ein Greis!*) Hebbel an Christine (6. Mai 1857): »Mit diesem Gedicht komme ich soeben, halb acht Uhr abends, aus dem Park von Weimar zurück und da ist es für Dich, mein teures Weib, aufgeschrieben: es ist gewissermaßen an den alten Goethe gerichtet, denn mir war, als ob ich ihn wandeln sähe, wie die Schatten sich zu verdichten anfingen.«
Wie die Knospe hütend, Daß sie nicht Blume werde, Liegt´s so dumpf und brütend Über der drängenden Erde. Wolkenmassen ballten Sich der Sonne entgegen, Doch durch tausend Spalten Dringt der befruchtende Segen. Glühnde Düfte ringeln In die Höhe sich munter. Flüchtig grüßend, züngeln Streifende Lichter herunter. Daß nun, still erfrischend, Eins zum andern sich finde, Rühren, alles mischend, Sich lebendige Winde.Und so kann, so kann auch ichNicht begreifen und nicht fassen,Wie in meiner Seele sichNoch ein Glück wird ziehen lassen.Doch ich weiß: zur Wonne geht,Wer da wallt auf Dornenbahnen,Und durch meinen Winter wehtEin tief selig Frühlingsahnen!
Auf deinem Grabe saß ich stummIn lauer Sommernacht;Die Blumen blühten rings herum,Die schon dein Grab gebracht.Und still und märchenhaft umfingIhr Duft mich, süß und warm,Bis ich in sanftem Weh verging,Wie einst in deinem Arm.Und meine Augen schlossen sich,Vom Schlummer leicht begrüßt;Mir war, als würden sie durch dichMir leise zugeküßt.Still auf den Rasen sank ich hin,Der deinen Staub bedeckt,Doch ward zugleich der inn´re SinnMir wunderbar geweckt.Was ich geträumt, ich weiß es nicht,Ich ahn es nur noch kaum,Daß du, ein himmlisches Gesicht,Mir nahe warst im Traum.Doch, was dies flücht´ge WiedersehnIn meiner Brust geschafft,Das kann die Seele wohl verstehn,Die glüht in neuer Kraft.Du hast der Dinge Ziel und GrundAn Gottes Thron durchschaut,Und tatest kühn mir wieder kund,Was dir der Tod vertraut.Und wenn das große LösungswortAuch mit dem Traum entschwand,So wirkt es doch im Tiefsten fort,Gewaltig, unerkannt!
"Sag an, o lieber Vogel mein,Sag an, wohin die Reise dein?"Weiß nicht, wohin,Mich treibt der Sinn,Drum muß der Pfad wohl richtig sein!"Sag an, o liebster Vogel mir,Sag, was verspricht die Hoffnung dir?Ach, linde Luft Und süßen DuftUnd neuen Lenz verspricht sie mir!"Du hast die schöne Ferne nieGesehen, und du glaubst an sie?"Du frägst mich viel,Und das ist Spiel,Die Antwort aber mach mir Müh´!Nun zog in gläubig-frommem SinnDer Vogel übers Meer dahin,Und linde LuftUnd süßer Duft,Sie wurden wirklich sein Gewinn!
Das Bettelmädchen lauscht am Tor,Es friert sie gar zu sehr.Der junge Ritter tritt hervorUnd wirft ihr hin den MantelUnd spricht: "Was willst du mehr?"Das Mädchen sagt kein einzig Wort,Es friert sie gar zu sehr.Dann geht sie stolz und glühend fortUnd läßt den Mantel liegenUnd spricht: "Ich will nichts mehr!"
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!Die Luft ist still, als atmete man kaum,und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,die schönsten Früchte ab von jedem Baum.O stört sie nicht, die Feier der Natur!Dies ist die Lese, die sie selber hält;denn heute löst sich von den Zweigen nur,was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
Schilt nimmermehr die Stunde hart,Die fort von dir was Teures reißt;Sie schreitet durch die GegenwartAls ferner Zukunft dunkler Geist.Sie will dich vorbereiten, ernst,Auf das, was unabwendbar droht,Damit du heut entbehren lernst,Was morgen sicher raubt der Tod.